Kategorien
Was hat das mit mir zu tun?

8 Wie lebten wir früher?

Wie lebten wir früher?

Kindheit in den 1970er Jahren

Ich bin Annette, 1960 in der DDR geboren. Plastik war in meiner Kindheit noch etwas Neues und sehr Modernes. Wir sind sparsam damit umgegangen – wie übrigens mit allem, denn die DDR war kein reiches Land. Wenn etwas kaputtging, wurde es repariert. In unserem Dorf gab es eine Reparaturstelle für defekte Haushaltsgeräte, wie zum Beispiel Rasierapparate, Staubsauger, Fernsehgeräte, und sogar für Feinstrumpfhosen. Das kostete nicht viel und hat sich immer gelohnt.

Verpackungen waren meistens aus Pappe, Papier oder Glas. Zum Einkaufen benutzten wir Stoffbeutel oder Einkaufsnetze. Wurst, Fisch, Käse und sogar Sauerkraut wurden frisch am Stand gekauft und in Papier eingewickelt. Obst und Gemüse packte man in braune Papiertüten.

Einmal kam ein Mitschüler aus Schweden zurück und erzählte, dass man den Müll dort in Plastiktüten sammelte, bevor man ihn in den Container warf. Das konnten wir uns kaum vorstellen. Eine appetitliche Verpackung für den Müll?! Bei uns kam Abfall direkt in den Mülleimer, den wir nach dem Entleeren ausgespült und mit Zeitungspapier ausgelegt haben. Organischer Abfall landete auf dem Kompost im Garten. In der Stadt standen spezielle Tonnen, in denen Futter für Schweine gesammelt wurde. Metall, Glas und Altpapier haben wir zur Altstoffhandlung gebracht, dafür waren wir Kinder zuständig. Wir sind regelmäßig mit Handwagen und Fahrrädern von Tür zu Tür gezogen, haben geklingelt und nach leeren Flaschen und Gläsern und alten Zeitungen und Zeitschriften gefragt. Die haben wir dann zur Annahmestelle geschleppt und damit unser Taschengeld aufgebessert.

Plastikverpackungen wurden mehrmals verwendet oder umfunktioniert. Es wäre einfach schade gewesen, sie wegzuwerfen, denn sie waren praktisch, und es gab sie nicht oft. Die 1-Liter-Plastiktüten, in denen es Milch zu kaufen gab, spülten wir aus und packten unsere Schulstullen darin ein. Leere Margarinebecher haben meine Eltern als Blumentöpfe verwendet.

Wenn wir einen Ausflug machten, nahmen wir unser Essen von zu Hause mit, oder wir kauften eine Wurst auf einem kleinen Pappteller. Bei Veranstaltungen gab es Getränke in Flaschen oder Pfandgläsern. Wenn die Erwachsenen unterwegs Kaffee trinken wollten, setzten sie sich in ein Café, Becher zum Mitnehmen kannte niemand. Als junge Frau war ich einmal zu einer Veranstaltung im Französischen Kulturzentrum in Berlin eingeladen. Dort wurde Wasser aus durchsichtigen Plastikflaschen in glasklaren Plastik- bechern serviert. Als alles anschließend im Papierkorb landete, stockte mir der Atem. Ich habe heimlich eine dieser wunderschönen Flaschen und mehrere Becher mit nach Hause genommen. Meine Familie hat sie bestaunt und noch lange benutzt.

Meine Eltern spülen auch heute noch fast jeden Plastikbehälter aus, beispielsweise um etwas einzufrieren. Sie benutzen auch jede Plastiktüte mehrmals. Lange war mir ihre Sparsamkeit peinlich, aber nun sind die beiden fast Neunzigjährigen voll im Trend. Ich versuche, es ihnen nachzumachen, nur leider übersteigen die vielen leeren Plastikbehälter einfach meinen Bedarf.

Mein Name ist Kofo, und ich wurde 1959 in London geboren. Als ich zehn war, sind wir in die Heimat meiner Eltern, nach Nigeria, zurückgekehrt. Auch in England gab es damals noch nicht so viel Plastik, aber in den afrikanischen Ländern noch viel weniger. In den 1970er Jahren gab es zwar einige Supermärkte, aber die meisten Menschen Nigerias kauften ihre Waren auf Märkten und trugen sie in Körben nach Hause. Auf dem Markt lagen Nahrungsmittel wie Reis, Maniok und Getreide in Säcken aus Jute, einer Naturfaser, und die Lebensmittel wurden in Zeitungspapier oder große Blätter eingepackt. Die gleichen Blätter wurden auch dazu benutzt, um darin Essen zu kochen. Wenn die Säcke oder Körbe verschlissen waren, konnte man sie einfach wegwerfen, denn sie waren aus Pflanzenfasern, die auf natürliche Weise schnell verrotten.

Früher wurde Wasser in Behältnissen aus der Natur transportiert, zum Beispiel in ausgehöhlten Flaschenkürbissen. Die Kalebassenbäume, an denen die Flaschenkürbisse wachsen, sieht man heute nicht mehr so oft wie damals. Ich habe einen in meinen Garten gepflanzt, und wenn ich Gäste habe, sind sie überrascht und freuen sich darüber. Ich biete ihnen an, die Kürbisse mitzu- nehmen und als Wassergefäße zu benutzen, aber es ist viel Arbeit, sie auszuhöhlen. Haushaltsartikel wurden damals wie auch jetzt teilweise noch aus Naturmaterialien gefertigt, zum Beispiel Besen aus den Fasern von Palmblättern. Kleidung wurde aus Baumwolle gewebt oder sogar aus Baumrinde gemacht. Spielsachen waren in der Regel aus Holz und manchmal auch aus alten Blechdosen. Die Menschen hatten mehr Zeit, um Dinge herzustellen und ihr Essen zu kochen.

In meiner Jugend gab es Coca-Cola immer in Glasflaschen. Wir haben die leeren Flaschen zu Hause gesammelt und aufbewahrt, um sie den Menschen zu geben, die in die Häuser kamen und nach Wertstoffen fragten. Wir haben ihnen dann die leeren Flaschen und alte, gebündelte Zeitungen gegeben. Die Zeitungen wurden auf dem Markt zum Einpacken von Fisch, Fleisch oder anderen Lebensmitteln wiederverwendet. Das Sammeln hat uns Kindern Spaß gemacht, denn wir haben dafür immer ein paar Pennies erhalten.

Seit den 1980er Jahren ist das Leben in Nigeria schneller geworden. Viele junge Menschen ziehen in die Stadt, wollen Geld verdienen und ein modernes Leben führen. Sie essen Fastfood und kaufen Wasser in Plastikflaschen oder in Plastiksachets, das sind kleine, viereckige Tüten. Auf dem Land, wo früher Lebensmittel und Pflanzen für die Herstellung von Gebrauchsgegenständen angebaut wurden, entstehen jetzt Häuser, oder es werden Produkte angebaut, die ins Ausland exportiert werden und Geld bringen. Dadurch geht der Anbau traditioneller Pflanzen zurück. Gegenstände aus Naturmaterialien wie Körbe und Besen werden deshalb immer teurer und seltener oder geraten ganz in Vergessenheit. Wir haben den westlichen Lebensstil kopiert. Nun ist es an der Zeit, dass wir uns an unsere Traditionen erinnern, denn wir wissen ja, wie das Leben mit weniger Plastik gut funktionieren kann.

Annette Herzog und Kofo Adeleke

weiter

GlossarOrganisch