Menstruation ohne Plastik & Tabu
Ein Beispiel aus Indien
Hast du jemals darüber nachgedacht, woraus Tampons und Wegwerfbinden bestehen? Wie die meisten Menschen hat auch die indische Ökologin Shradha Shreejaya lange geglaubt, dass sie einfach aus Baumwolle sind. Erst als sie 24 Jahre alt war und sich an Umweltschutzaktionen beteiligte, wurde ihr bewusst, wieviel Plastik und giftige Bestandteile konventionelle Tampons und Binden enthalten. Auf einmal verstand sie, warum sie ständig diese roten Hautausschläge bekam. Sie hatte immer geglaubt, es läge an ihrem Hauttyp, oder sie sei vielleicht nicht sauber genug. Sie wechselte zu einer Menstruationstasse, die ihr Leben revolutionierte. Plötzlich war sie nicht nur ihren Hautausschlag los, sondern berührte sich durch die Tasse erstmals selbst an ihren intimsten Stellen und bekam dadurch ein natürlicheres Verhältnis zu den von der Gesellschaft tabuisierten Bereichen ihres Körpers. Ihre Wahrnehmung veränderte sich, und sie fragte sich: Warum schämen wir uns wegen eines ganz natürlichen biologischen Prozesses, der seinen Ursprung in etwas so Wesentlichem wie der menschlichen Fortpflanzung hat? In Indien ist die monatliche Blutung ein derart großes Tabu, dass viele Mädchen und Frauen nicht einmal untereinander darüber sprechen.
Durch ihre eigene Erfahrung beflügelt, begann sich die Umweltwissenschaftlerin dafür zu interessieren, welche Auswirkungen Menstruationsprodukte nicht nur auf die Umwelt, sondern auch auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Mädchen und Frauen haben. Sie begriff, dass Änderungen auf diesem Gebiet nur dann möglich sind, wenn die Tabus gebrochen werden. Um Probleme zu lösen, muss man sie ansprechen können. Genau das aber ist in ihrem Heimatland eine große Herausforderung, denn in weiten Teilen Indiens werden Mädchen und Frauen während ihrer Menstruation als unrein betrachtet und dürfen weder einen Tempel noch die Küche betreten. Oft bleiben sie in dieser Zeit auch der Schule fern, entweder aus Angst, dass sich Flecken auf ihrer Kleidung zeigen, oder weil es in vielen Schulen keine Möglichkeit gibt, Binden zu wechseln und zu entsorgen. Nicht selten brechen Mädchen deshalb sogar ihre Schulausbildung ab.
Auch zu Hause, besonders auf dem Land und in den Slums, stehen die Frauen vor dem Problem, dass sie nicht wissen, wo sie die gebrauchten Menstruationsprodukte entsorgen können. In den Haushaltsmüll dürfen sie nicht. In der Toilette saugen sie sich voll und verstopfen die Kanalisation. Auf dem Land nehmen Frauen oft lange Wege auf sich, um die Binden außerhalb der Dörfer in der Erde zu vergraben. Oder sie klemmen sie zwischen ihre Schenkel, wenn sie im See oder Fluss baden, um sie dort loszuwerden. Aber egal, ob im Wasser oder in der Erde: Aufgrund ihres hohen Plastikanteils existiert jede einzelne Binde viele 100 Jahre. Wenn die Frauen sie verbrennen, werden dabei giftige Gase freigesetzt.
Einmalprodukte sind natürlich für die meisten Mädchen und Frauen sehr praktisch, und die meisten betrachten sie als einen großen Fortschritt gegenüber den Stoffresten, die Frauen traditionell verwendet haben. Der indische Staat will dazu beitragen, dass mehr Frauen Einmalbinden benutzen können, und verteilt sie deshalb verbilligt an 10- bis 19-jährige Mädchen auf dem Land. Außerdem hat er die Steuer auf Binden und Tampons abgeschafft, weil diese für viele einfach zu teuer sind. Das Abfallproblem verliert der Staat dabei aus den Augen.
Auch ein anderer wichtiger Punkt wird nicht angesprochen, und das ist nicht nur in Indien ein Problem, sondern weltweit: Wie kann es sein, fragt sich Shradha, dass wir auf gesunde Ernährung und schadstoffarme Kosmetik achten, aber kaum jemand hinterfragt, welche Chemikalien in Menstruationsprodukten enthalten sind? Eine Pflicht zur Angabe der Inhaltsstoffe gibt es nicht, dabei sollte jede*r das Recht haben zu wissen, welche Giftstoffe und Plastiksorten rund 40 Jahre lang regelmäßig mit den Schleimhäuten in Berührung kommen.
Shradha begann zu untersuchen, welche Initiativen es für die Verbreitung nachhaltiger Menstruationsprodukte bereits gab. Zu ihrem Glück hat ihr Heimatstaat Kerala im Süden Indiens eine sehr fortschrittliche und umweltbewusste Regierung und beteiligt sich an dem internationalen Programm »Zero Waste Cities«. Das bedeutet, dass es bereits ein dichtes Netz an NGOs gab, die sich mit Abfallfragen beschäftigten. Doch Shradha fand kaum eine, die sich mit dem Thema Menstruation befasste. Sie nutzte die sozialen Medien, um sich mit Aktivist*innen auf diesem Gebiet in Verbindung zu setzen und stieß auf Initiativen wie »The Red Cycle« oder »Eco- Femme«, eine Kooperative, die auswaschbare Monatsbinden aus ökologischer Baumwolle herstellt und damit sozial benachteiligten Frauen einen Arbeitsplatz bietet. Mit den Überschüssen aus dem Verkauf der Stoffbinden finanzieren die
Frauen gleichzeitig Aufklärungskampagnen
an Schulen. Shradha wollte die bereits existierenden Projekte vernetzen und wurde zur Mitbegründerin des »Sustainable Menstruation Kerala Collective« – einer informellen Gruppe engagierter Einzelpersonen, Initiativen und Produzenten, die dasselbe Anliegen haben: Mädchen und Frauen Zugang zu gesunden, bezahlbaren und umweltfreundlichen Menstruationsprodukten zu verschaffen. Zu diesem Zweck tauschen sie sich miteinander aus, oder sie organisieren Festivals und Kampagnen. Sie klären auf und stellen auf öffentlichen Veranstaltungen und in Schulen umweltfreundliche und unbedenkliche Alternativen wie auswasch- bare Stoffbinden und Menstruationstassen aus medizinischem Silikon vor, die weder Umwelt noch Körper belasten und trotz einmaliger höherer Anschaffungskosten auf Dauer billiger sind. Sie ernten viel Dank dafür, dass sie endlich ein Thema ansprechen, das mit so viel Scham behaftet ist. Shradha ist klar, dass längst nicht jede*r die Möglichkeit hat, frei zu wählen. Oft scheitert es an so grundlegenden Dingen wie sauberen Toiletten, deshalb beziehen sie auch Politiker*innen in ihre Arbeit ein. Aufklärung, soziale Situation, Umwelt und Gesundheit – alles hängt miteinander zusammen. Shradhas Einsatz hat entscheidend dazu beigetragen, dass Kerala zu einem Vorbild für ganz Indien geworden ist.
Annette Herzog interviewte Shradha Shreejaya
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